Dienstag, 20. Dezember 2016

Wer brauch die UNO noch?

Thema: Vereinte Nationen

Braucht es die UNO noch?

von Ann Guenter - Sitzungen, Schuldzuweisungen, Stagnation: Die UNO macht im Syrienkrieg keine gute Falle. Wieso sie zurzeit nur scheitern kann – ein Gespräch mit Andreas Zumach.


Angesichts solcher Bilder aus dem syrischen Aleppo mag sich so manch einer fragen: Was tun die Vereinten Nationen eigentlich, wieso kann die UNO diesen Krieg nicht beenden? Foto: AFP/Ameer Alhalbi
Herr Zumach, was macht die UNO in Syrien falsch?
Die UNO ist nur so gut, wie es ihre Mitglieder zulassen. Wir haben mit dem Sicherheitsrat ein politisches Gremium, das den Generalsekretär und seine Topdiplomaten mit der Vermittlung eines Friedens beauftragt. Doch hinter dem Rücken des Generalsekretärs betreiben die wichtigsten Mitgliedsstaaten im Sicherheitsrat eine gegensätzliche Politik: Die einen unterstützen die Assad-Regierung, die anderen islamistische Oppositionsgruppen. So können die UNO und all ihre Vermittler nur scheitern.

Täuscht der Eindruck, dass die UNO zunehmend handlungsunfähig ist?
Diese Wahrnehmung ist schon richtig: Spätestens seit Anfang 2014 hat eine Reihe von Konflikten auf dieser Welt – Syrien, Irak, das Vordringen des IS, die Ukraine, die Ebola-Krise – den Eindruck verstärkt, dass die UNO weitgehend machtlos ist, nichts bewirken kann und noch nicht mal überlebende Opfer, vor allem Flüchtlinge, ausreichend versorgen kann – dies, weil die Mitgliedstaaten nicht die nötigen finanziellen Mittel bereitstellen.

Andreas Zumach, deutscher Journalist und Publizist, arbeitet als internationaler Korrespondent für verschiedenen Printmedien und Radiostationen bei den Vereinten Nationen in Genf. Mit der Arbeit der UNO beschäftigt er sich seit über zwei Jahrzehnten.
Inwiefern hat sich die UNO ihr schlechtes Image selbst zuzuschreiben? Stichworte: Papiertiger, Wasserkopf-Bürokratie, versickernde Millionen.
Nein, also Millionen versickern da nicht. Aber schauen wir uns einmal die Relationen an: Das gesamte UNO-System kostet derzeit jährlich 15 Milliarden US-Dollar. Das sind pro Kopf der Weltbevölkerung umgerechnet 2 Dollar. Im Vergleich dazu geben die Regierungen 125 Dollar pro Kopf der Weltbevölkerung für ihr Militär aus. Und: Die UNO hat weltweit 44'000 Mitarbeiter in ihren Hauptquartieren in Genf und New York, den 40 Sonderorganisationen wie etwa die Weltgesundheitsorganisation oder das Flüchtlingshochkommissaritat UNHCR mitsamt ihren Regionalbüros. Dazu kommen derzeit 160'000 Blauhelmsoldaten. Zum Vergleich: Der US-Bundesstaat Wyoming mit seinen 700'000 Einwohnern hat 50'000 öffentliche Bedienstete. Solche Relationen muss man berücksichtigen. Und zum Vorwurf des Papiertigers: Die UNO produziert in einem Jahr so viel Papier wie die «New York Times» in einer Sonntagsausgabe. Aber wie in jeder Bürokratie gibt es auch in der UNO Verschwendung, das ist überhaupt keine Frage. InfoboxAndreas Zumach, deutscher Journalist und Publizist, arbeitet als internationaler Korrespondent für verschiedenen Printmedien und Radiostationen bei den Vereinten Nationen in Genf. Mit der Arbeit der UNO beschäftigt er sich seit über zwei Jahrzehnten.

Porsche-UNO-Autos vor Luxushotels in Kriegs- und Krisengebieten werfen schon die Frage auf, wieso die UNO-Mitarbeiter gerade dort absteigen müssen
Die Unterbringungskosten sind nicht die entscheidenden Kosten. Aber ja, einige Standards der UNO sollten verändert werden. Doch wie gesagt: Alles, was wir an übertriebenen Standards für die UNO-Mitarbeiter sehen, ist das Ergebnis der Wünsche der Mitgliedstaaten. Das Dilemma beginnt ja bereits da: Die UNO muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen können, damit die Leute ins Feld gehen. Und das gilt nicht nur für Krisengebiete. Auch die UNO-Zentren in Genf und New York sind für die jungen Diplomaten nur attraktiv, wenn die Bedingungen stimmen.

Das heisst auch ein Stück weit, dass bei der UNO nicht unbedingt die Qualifikationen der Mitarbeiter im Zentrum stehen.
Ja, diese Kritik gibt es schon länger. Regierungen wollen, aus welchen Gründen auch immer, oft Leute loswerden und zur UNO abschieben. Die beste Qualifikation ist nicht immer das Kriterium, um bei der UNO zu arbeiten. Aber noch einmal, auch wenn es banal klingen mag: Alles, was man bei der UNO zu Recht bemängeln kann, ist das Ergebnis der Entscheidungen und des Willens der Mitgliedstaaten.

Wo gibt es Bedarf für Reformen?
Die Finanzierungsbasis darf nicht mehr abhängig vom guten oder schlechten Willen der Mitgliedstaaten sein: Von den 30 Milliarden Dollar des Doppelhaushaltjahres der UNO kommen gerade einmal sechs Milliarden durch die Pflichtbeiträge der Mitgliedstaaten herein – das sind gerade einmal 20 Prozent der benötigten Gelder. Die übrigen 24 Milliarden sind abhängig von freiwilligen Überweisungen. Es bräuchte also eine UNO-Steuer, die nach dem Bruttosozialprodukt eines Staates pro Kopf seiner Einwohner bemessen ist. Das wären so um die 0,001 Prozent des BIP, eine verkraftbare Summe. Die zweite Reform: Die UNO braucht eine gemeinsame Truppe, eine unabhängige und ständige Truppe. Denn bei den zusammengewürfelten UNO-Missionen, die aus Kontingenten von Mitgliedstaaten bestehen, ist die Gefahr gross, dass nationale Interessen durchschlagen. Die dritte Reform betrifft den Sicherheitsrat. Die derzeitige Zusammensetzung mit den ständigen Sitzen der fünf Vetomächte Russland, China, USA, Frankreich, Grossbritannien ist überholt. Doch dafür müsste die UNO-Charta verändert werden, und dafür braucht es eine Zweidrittelmehrheit in der Generalversammlung. Diese Mehrheit kriegt man sicher, das Dilemma ist nur: Auch die fünf Staaten, die das Veto-Privileg haben, müssten zustimmen, und das tun sie nicht. Damit beisst sich die Katze immer wieder in den Schwanz.

Wer kann denn überhaupt Reformen anstossen?
Das kann nur durch Druck von unten geschehen. So wurde etwa die Reform des UN-Menschenrechtsrates von einem Schweizer Völkerrechtler initiiert – obwohl die Schweiz damals noch nicht UN-Mitglied war. Doch kleine Länder können in der UNO durchaus Grosses bewirken, oft gegen den Willen der mächtigen grossen Mitglieder.

Holzhammerfrage: Braucht es die UNO noch?
Aber selbstverständlich! Bei aller notwendigen Kritik, darf man drei Dinge nicht vergessen: Ohne UNO hätten wir in den letzten 70 Jahren noch viel mehr Gewaltkonflikte gehabt als die etwa 230, die es gegeben hat – und einige wären ohne die UNO mit nuklearen Waffen ausgetragen worden. Dann: Dank den humanitären UNO-Organisationen konnten die überlebenden Opfer dieser Konflikte sowie von Naturkatastrophen versorgt werden, wenn mitunter auch unbefriedigend. Hunderte Millionen von Menschen wären ohne UNO umgekommen. Und: Es hat ein ganzes Bündel von völkerrechtlich verbindlichen Verträgen und Vereinbarungen gegeben – zu Menschenrechtsfragen, zu Rüstungskontrollen, zu Umweltfragen, Klima und Artenschutz. Ohne UNO wäre die Welt in einem schlechteren Zustand, als sie es heute ist.

Spielen wir auf den Mann. Wer war Ihrer Meinung nach der erfolgreichste UNO-Generalsekretär?
Der Schwede Dag Hammerskjöld, der unter unklaren Umständen bei einer Beobachtermission im Kongo umkam, und der Ghanaer Kofi Annan. Grundsätzlich ist der Generalsekretär mehr Sekretär als General. Deswegen ist die Persönlichkeit dieser Person umso wichtiger. Es ist eine Frage des Rückgrats.

Und der jetzt gewählte António Guterres hat Rückgrat?
Ja, er ist ein anderes Kaliber als der blasse Ban Ki-moon. Guterres hat in seiner Zeit als Hochkommissar für Flüchtlinge bereits Profil bewiesen und gezeigt, dass er bereit ist, sich mit mächtigen Mitgliedsstaaten anzulegen. Doch die Rahmenbedingungen, unter denen er antritt, sind die schwierigsten, die es je gegeben hat.

Wagen wir noch einen Blick in die Zukunft: Wie sieht die UNO in zehn Jahren aus?
Sie wird nach dringend benötigten Reformen hoffentlich ein solideres Finanzsystem haben. Und mehr Mitgliedstaaten, die sich an die einmal vereinbarten Verträge und Normen halten, darunter auch gerade die mächtigen Ländern. Und sie wird hoffentlich eine grössere Fähigkeit haben, um auf die globalen Herausforderungen wie etwa die Klima-Erwärmung sowie auf Gewaltkonflikte besser zu reagieren.

Mit freundlicher Genehmigung von 20min.ch

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